Mane Curie





Ihr Vater war Physiklehrer an einem Warschauer Gymnasium. Sein Gehalt reichte gerade aus, um seine vier Kinder zu ernähren. Um sie alle studieren zu lassen, dazu reichte es nicht. Eines seiner Kinder hieß Mane, Mane Sklodowska. Damit ihre Schwester Bronja in Paris studieren konnte, nahm sie in Warschau eine Stellung als Erzieherin an. Erst wenn Bronja Ärztin war, würde sie selbst an die Reihe kommen, mit ihrem Studium der Physik und Chemie in Paris beginnen können. Nach ihrem 25. Geburtstag war es soweit. Andere beginnen mit 18. Also mußte sie sich beeilen. Sie hatte kein Geld und keine Zeit, um zu kochen und zu essen und ihre Mansarde im Universitätsviertel Quartier Latin zu heizen. Sie ernährte sich von Zwieback und Obst und arbeitete bis zur Erschöpfung in eisiger Kälte. Mehr als einmal versagte ihr Körper den Dienst; aber ihr eiserner Wille war stärker. Sie bestand alle ihre Prüfungen mit Auszeichnung. Man begann, auf die hochbegabte Studentin aufmerksam zu werden, und vertraute ihr selbständige Arbeiten an. Jetzt begann ihr Leben, in dem sie sich zum Ziel gesetzt hatte, die radioaktiven Elemente zu erforschen.
Aber zunächst lernte sie Pierre Curie kennen, einen hochbegabten Mann, der trotz seiner Jugend schon anerkannter Physiker in Paris war. Nach einem Jahr entschloss sie sich, in der Stadt zu bleiben, zu heiraten und auf die Rückkehr in ihre geliebte polnische Heimat und zu ihrem alten Vater zu verzichten. Fortan teilte sich ihr Leben zwischen Herd und Bunsenbrenner, Pfanne und Retorte.
Kurz nach der Geburt ihrer ersten Tochter Irene begann Mane Curie ihre Doktorarbeit über die neuentdeckten Uranstrahlen zu schreiben. Sie experimentierte mit verschiedenen Mineralien und gelangte dabei zu der Überzeugung, dass diese Strahlen von neuen, noch nicht bekannten Elementen ausgehen mussten.
Das war der Augenblick, in dem die Curies begriffen, dass sie an der Schwelle einer großen wissenschaftlichen Entdeckung standen.
Sie hatten kein richtiges Laboratorium, keine Apparate und kein Geld. Sie arbeiteten in einem reparaturbedürftigen, ungeheizten Schuppen, waren ohne technische Hilfsmittel und hatten eigentlich nur ihre bloßen Hände und den unbeugsamen Willen, dieses Geheimnis der Natur zu lüften. Trotz allem gelang es ihnen bald, ein neues Element zu finden, das Mane Curie zu Ehren ihrer polnischen Heimat "Polonium" nannte.
Das war 1889. Kurz danach gelang es den Curies, ein zweites radioaktives Element nachzuweisen, das Radium. Um nur ein Gramm dieses Elementes zu gewinnen, mussten in schwerer Mühe acht Tonnen Uranerz verarbeitet werden.
Staunend und ergriffen saßen sie abends in ihrem Schuppen, der von nichts anderem erleuchtet war als von den schimmernden Strahlen, die von den radioaktiven Substanzen ausgingen. Nun hatten sie erreicht, was sie wollten. Nun konnten sie der Welt beweisen, dass das Radium existierte. Die zweifelnde Wissenschaft mußte sich überzeugen lassen.
Aber diese ersten winzigen Mengen radioaktiver Substanzen stellten die Curies vor eine ihrer Meinung nach schwere Entscheidung. Sollten sie ihre Verfahren für sich behalten und patentieren lassen? Sollten sie an ihrer Entdeckung endlich reich werden oder sollten sie für immer auf den materiellen Ertrag verzichten? Sie entschieden sich für das zweite, gaben nach kurzer Überlegung ein Riesenvermögen preis, das sich in diesen energiegeladenen Stoffen darbot - und blieben arm.
Im Jahr 1903 wurde den Curies der Nobelpreis für Physik verliehen. Der Geldpreis brachte ihnen finanzielle Erleichterung: Sie konnten Apparate anschaffen, und Mane Curie, Entdeckerin des Radiums, von dem ein Gramm eine Viertelmillion Dollar kostet, konnte sich den ersten "Luxus" ihres Lebens leisten: ein Badezimmer.
An ihren eigenen, mit Brandnarben bedeckten Händen hatten die Curies gesehen, dass Radium Gewebe zerstört. Als die Ärzte begannen, mit Radium gegen den Erbfeind der Menschheit, den Krebs, vorzugehen, ließ Pierre Curie die ersten Versuche an sich selbst ausführen. Die Entdeckung der Heilkraft des Radiums war für die Curies die Krönung ihres Lebens. "Man könnte sich vorstellen", sagte Pierre Curie in seiner Nobelpreisvorlesung, "dass das Radium aber auch in verbrecherischen Händen sehr gefährlich werden könnte, und man müsste sich fragen, ob es für die Menschheit gut ist, die Geheimnisse der Natur zu kennen, ob sie reif ist, daraus Nutzen zu ziehen, oder ob ihr diese Erkenntnis zum Schaden gereichen könnte." Ein gütiges Schicksal ersparte es den Curies, den Tag erleben zu müssen, als die erste aus ihrem Lebenswerk entwickelte Atombombe unzählige Menschenleben vernichtete.
1906 wurde Pierre Curie tödlich überfahren, Mane über Nacht zur alten Frau. Sie vergrub sich in ihre Arbeit und schloss sich im Laboratorium ein. Mit tonloser Stimme hielt sie ihre Antrittsvorlesung als Pierres Nachfolgerin auf dem Lehrstuhl der Pariser Universität. 1911 erhielt sie zum zweiten Mal den Nobelpreis, diesmal für Chemie. Ihr war die Reindarstellung des Elementes Radium gelungen. Als erster und einziger Wissenschaftler hatte sie den Nobelpreis in zwei verschiedenen Fächern erhalten.
Eine rätselhafte Blutzersetzung machte dem Leben Mane Curies ein Ende. Das Radium hatte sein Opfer gefunden. Zurück blieb ihr unvergänglicher Ruhm, uns das Tor zum Atomzeitalter geöffnet zu haben.

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