Nachttauchen
Der ideale Nachttauchplatz ist wie folgt beschaffen. Er ist nicht tief und er ist dem Taucher von früheren Ausflügen wohlbekannt. In der Nähe befindet sich ein funktionierendes Telefon. Er verfügt über eine bequeme, beleuchtete Einstiegsstelle und er bietet dem Taucher trotz schummriger Dunkelheit eine ausreichend gute Sicht auf die Reize der Umgebung. Skeptiker können nun einwenden, dass solche Plätze außerhalb der heimischen Badewanne spärlich gesät sind, und damit haben sie nicht ganz unrecht. Dennoch, die konkrete Planung eines Nachttauchgangs fängt mit der Auswahl des Tauchplatzes an. Wer seine Wahl mit Bedacht trifft, schaltet von vornherein einige Gefahrenquellen aus. Helligkeit ist naturgemäß von Vorteil, denn niemand stolpert gern im Trocki und voller Montur über eine Waldwurzel, tastet im dunklen Gebüsch nach einem schwarzen Handschuh oder fischt nach einer vom Schlauchboot gefallene dunkelblauen Flosse.
nächtens
tappt man naturgemäß leicht im Dunkeln, Soll heißen, dass
die gewohnte Orientierung anhand markanter Geländepunkte nun bedeutend
schwerer fällt, denn das Sichtfeld beschränkt sich auf den Kegel
der Tauchlampe. Die Natur weist also höchstens per Boden Unebenheiten,
Mondschein, konstante Strömung oder Riffkanten den Weg. Wo das nicht
mehr ausreicht, greift der Mensch zur Technik. Genauer gesagt zum Kompass,
der unbestechlich den Kurs vorgibt - solange ihn keine Metallmassen in
der Nähe ablenken, solange er nachleuchtet und solange sein Benutzer
mit den Zahlenkreisen an der Kompassrose umzugehen weiß. Zusätzlich
sollte man auch unter Wasser Lampen, Leuchtstäbe oder UW-Blitze an
der Einstiegestelle anbringen, die nach denn "Prinzip Leuchtturm" den verlorenen
Seelen in der Dunkelheit leuchten. Weithin auffällig sind blinkende
Lichter, die aber nur unter Wasser ein probates Mittel darstellen, denn
an der Oberfläche gelten sie als Notsignal. Solcherart ausgerüstet
lassen sich häufige Abstecher zur Oberfläche zwecks Positionsbestimmung
vermeiden - was nicht nur der Bequemlichkeit, sondern auch der Sicherheit
dient, denn die vielzitierten Jojo-Tauchgänge bergen bekanntlich eine
gesteigerte Deko-Unfallgefahr.Bei einem "normalen" Tauchgang am helllichten Tage
kann das Briefing kurz und bündig ausfallen - und tut es in der Regel
auch. Nachts ist die "Tagesordnung" umfangreicher. Der Grund: Viele Verhaltensweisen
unter Wasser, die sonst schon in Fleisch und Blut übergegangen sind,
müssen nun variiert und einzeln abgehakt werden. Das gilt vor allem
für die Kommunikation, sprich für die UW-Zeichen. Dabei gibt
es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Zum einen kann man Zeichen
mit der Lampe geben, sie kreisen, auf und ab oder quer schwenken. Ein weltweit
übliches, aber nur beschränkt taugliches Mittel, denn UW-Lampen
kreisen oder schwenken beim Tauchgang ohnehin. Besser ist es, auf nicht
zu großen Abstand zu achten und die bekannten UW-Zeichen mit der
Hand im Schein der Lampe zu
geben.
Zu klären ist auch das Verhalten beim Verlust der Gruppe oder des
Tauchpartners. Auf plötzliche "Vereinsamung" reagiert der Nachtschwärmer
am besten mit einem kurzen Rundumblick und mit anschließendem Auftauchen-
kein Problem, denn nachts verbieten sich nicht nur Deko- sondern auch Eis-
und Höhlentauchgänge. Auch die anderen Punkte des Briefings gewinnen
in der Nacht an Bedeutung: Begrenzung von Tauchtiefe und –zeit, die Einteilung
in kleine Gruppen, das Verhalten bei Lichtausfall, das Abfragen des Erfahrungsstands,
Einsstiegsstelle, Bezugspunkte beim Abtauchen etc.
Wie im täglichen Leben, folgt bei einem Nachttauchgang auf die Arbeit das Vergnügen. Wer Lampen geladen, eine Einstiegsstelle gewählt und beleuchtet und ein umfangreiches Briefing durchgeführt hat, kann sich den Dingen widmen, wegen denen er den ganzen Aufwand in Kauf genommen hat. Denn das Nachtleben unter Wasser ist atemberaubend - die Dämmerung deckt den Tisch für allerhand lichtscheue Gesellen: ganze Korallengärten blühen in leuchtenden Farben, Federsterne breiten ihre Arme auf der Jagd nach Plankton aus und nachtaktive Jäger verlassen ihre Höhlen. Im Süßwasser nimmt der Hecht die Pirsch auf und die Schleie zieht grundelnde Bahnen durch den Schlick. Andere Fische begeben sich zur Ruhe und schützen sich mit ausgefeilten Tricks, sowie der Papageienfisch der sich mit seinem Schleimschlafsack unsichtbar macht. Und wieder andere Wesen leuchten selbst per Biolumineszenz, einer chemischen Reaktion, bei der Energie als Licht abgegeben wird, sei es zum Verscheuchen von Feinden, zur Kommunikation mit Artgenossen oder zum Anlocken von Opfern. Dabei entsteht kaum Wärme, weshalb Wissenschaftler von einem "kalten Leuchten" Sprechen.
Gründe genug, die schwierige Suche nach einem
geeigneten Nachttauchplatz aufzunehmen - auch wenn sie noch so umständlich
sein kann.